Sprachwandel zum Staunen
»Pilze sammeln ist ein valides Hobby.« Ich werde hellhörig, als ich diesen Satz im Zug von einer Frau Anfang 20 höre, die sich im Vierer gegenüber mit einer Freundin unterhält. Nicht etwa, weil ich eine passionierte Pilzsammlerin wäre – sondern weil sie den Begriff »valide« benutzt, den ich aus den englischsprachigen sozialen Medien kenne. Mit »valid« drücken dort vor allem jüngere Nutzer:innen aus, dass etwas legitim oder sozial akzeptiert ist.
Als Linguistin staune ich darüber, dass »valide« gleich zwei Sprünge gemacht hat: Vom Internet in die Offline-Alltagssprache und vom Englischen ins Deutsche. In dem, was ich noch immer das »echte Leben« nenne, gehe ich gerne auf die Suche nach Begriffen, die zuerst vor allem online genutzt wurden, und freue mich, wenn ich einen in freier Wildbahn finde. Vielleicht haben die Frauen den Ausdruck zuerst auf einer Plattform wie TikTok oder Instagram kennen gelernt, vielleicht sind sie durch Freund:innen mit ihm in Berührung gekommen. Dass sie ihn jetzt so selbstverständlich verwenden, zeigt in jedem Fall, welchen Einfluss das Internet auf unsere Sprache hat – auch, wenn wir die App schon lange geschlossen haben.
Unser besonderes Buch im August: »Algospeak«
Mit der Frage, wie soziale Medien unsere Sprache prägen, beschäftigt sich auch der Linguist Adam Aleksic in seinem kürzlich erschienenen Buch »Algospeak«. Aleksic ist selbst Content Creator. Unter dem Usernamen @etymologynerd postet er auf Instagram und TikTok kurze Videos, in denen er sprachliche Phänomene erklärt – und damit Millionen Menschen erreicht. Aleksic trägt zwei Hüte, die des Linguisten und die des Content Creators. In dieser Doppelrolle gelingt ihm mit »Algospeak« ein populärwissenschaftliches Buch, wie es sein sollte: kurzweilig, unterhaltsam und mit vielen Passagen zum Staunen.
Algorithmen spielen auf Plattformen wie TikTok eine entscheidende Rolle, das weiß Aleksic als Content Creator nur zu gut. Sie bestimmen, welche Themen und Inhalte Sichtbarkeit bekommen, welche Videos uns auf der Startseite der App angezeigt werden und welche Stimmen besonders laut werden. In »Algospeak« argumentiert Aleksic, dass diese Plattform-Algorithmen auch unsere Sprache aktiv formen, indem sie Nutzende zu sprachlicher Innovation und Kreativität anregen.
Woher diese Innovationen kommen, erklärt Aleksic in 10 Kapiteln, die zentrale Aspekte des Zusammenspiels von Sprache und Algorithmen aufzeigen: Von Memes über die Aufmerksamkeitsökonomie bis hin zu linguistisch-kultureller Aneignung. Ich will an dieser Stelle gar nicht zu viel verraten, euch aber zwei Einblicke in die dargestellten Zusammenhänge geben:
Nutzende passen ihre Wortwahl auf Plattformen bewusst an, um Zensur zu umgehen. TikTok filtert Beiträge, die bestimmte Wörter enthalten, und entfacht bei seinen Nutzenden damit sprachliche Kreativität: Als Euphemismus für »kill« hat sich dort »unalive« etabliert. Der Begriff ist unter Jugendlichen in den USA inzwischen so gängig dass sie ihn in Schulaufsätzen benutzen – finde ich valide!
Doch sprachliche Innovation dient nicht nur dem Umgehen von Zensur: Der Algorithmus »belohnt« Videos mit bestimmten Eigenschaften mit höherer Sichtbarkeit. Viele erfolgreiche Videos haben etwa emotionale Sprache, Kürze und ein hohes Sprechtempo gemein. An diesem Muster orientieren sich dann andere Creator:innen. So entsteht ein algortihmus-optimierter Sprach- und Sprechstil, den wir als typisch für TikTok-Videos wahrnehmen.
Ein Buch für alle, die gerne über Sprache staunen – ob im Internet, im Zug oder anderswo im »echten Leben«!